Streckenwanderungen

GTA

Grande Traversate delle Alpi,
durch das Piemont zum Mittelmeer

„unsre“ Route von 2018, vom Aostatal bis Ventimiglia. Die X Symbole sind dort, wo wie übernachtet haben.
Eine Pension im Piemont

Die GTA war ein Weg, an den wir schon länger gedacht hatten. Die üblichen Alpenüberquerungen sind total überlaufen, aber wer kennt schon das Piemont? Ja, die Werbung für Mon Cheri. Und Turin, da war jeder schon einmal. Aber das Hinterland? Nie davon gehört. Der Monvisio? Man sieht ihn von fast überall in der westlichen Po-Ebene, er wird gerne für den Mt. Blanc gehalten. Was weiß man sonst noch? Hannibal und seine Elefanten waren dort. Die Waldenser leben bis heute dort, eine seltsame Sekte, die sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen lässt und die eng mit den Katharern verbunden war. Ihre sture, vergeistigte Lebensweise prägt die Landschaft bis heute. Wie die Kartharer waren auch die Waldenser prägend für die Okzidanie, ein Kulturraum, der sich vom Piemont bis nach Katalonien zieht. In einigen Gebieten des Piemonts sprechen die Bauern bis heute untereinander Okzidan.

Es sollte also die GTA werden. Sieht man sich die Karte an, dann ist die GTA kein „logischer Weg“. Niemand, der einigermaßen bei Verstand ist, würde ohne Not einen Weg quer zu den Alpentälern wählen. Nach der eher einfachen und bescheidenen Wanderung, die wir im Jahr zuvor durch Bulgarien gemacht hatten, wollten wir 2018 etwas Extremeres. Die Quartiere sollte auch ein bisschen mehr Komfort bieten. Die gesamte GTA? 1000km, jeden Tag ein bis zwei schroffe Pässe, ein Weg, der „irgendwo“ beginnt und im „Nirgendwo“ endet? Eher doch nicht?

Es gab damals zwei Führer: Den klassischen zweibändigen von Bätzing aus dem Rotpunktverlag, der gerade in seiner siebten Auflage neu erscheinen sollte, und den weit dünneren Rother Wanderführer von Kürschner/Haas. Beide beschreiben eine Route, die gegen Ende leicht von der GTA abweicht und bis zum Mittelmeer führt. Das Mittelmeer wäre ein attraktives Ziel. Die ganze Strecke würde uns aber für vier Wochen einfach zu weit werden, es sind deutlich über 1000 km in wirklich extremem Gelände. Erschwerend kam in den drei Wochen der Planungsphase dazu, dass nur der Führer aus dem Rotpunktverlag verfügbar war, der weit umfangreichere Bätzing aber (noch) nicht, denn die sechste Auflage war vergriffen, die Siebte verspätete sich immer mehr.

Wenn wir zum Meer wollten, mussten wir uns einen passenden Startpunkt aussuchen. Einen, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln in unter einem Tag von Baden aus erreichbar sein sollte. Der Atlas zeigte uns, dass eine Bahnlinie durch das Aostatal führt, die von Turin aus erreichbar ist. Sie kreuzt die GTA in Quincinetto, Etappe 17b im Rother Führer. Leider bleiben die Züge dort nicht stehen, wir starteten daher im fünf Kilometer entfernten Ponte San Martin, eine Stunde Umweg, die letzten paar hundert Meter auf der Hauptstraße, dafür flach abwärts, ideal zum Eingehen. Die Gesamtstrecke würde sich zwar auf nur 576 km reduzieren, aber es würden immer noch 38.300 Höhenmeter sein, die wir in 30 Tagen durchwandern wollten. Das war ausreichend für uns.

Blick auf Quincinetto zurück. Ponte San Martin ist die Ortschaft links auf der anderen Talseite.
Auf der ersten Etappe.

Am Tag der Abreise bekamen wir den Führer von Bätzing, allerdings war nur die südliche Hälfte erschienen, und die zeigte uns ein deutlich anderes Bild als der Führer von Rother, auch die Etappen waren teilweise unterschiedlich und – wie uns schien – sinnvoller angelegt.
Die GTA ist also kein gewachsener Weg. Es ist ein Projekt, das die piemontesischen Alpen für Weitwanderer erschließen und gleichzeitig die lokale Wirtschaft durch sanften Tourismus stärken sollte. Es funktioniert für beide Seiten gut. Weil es zu Beginn nicht ausreichend Quartiere gab, wurden in den 1980er Jahren Notquartiere angelegt, sogenannte Posto Tappa, in denen man für relativ wenig Geld und ohne Komfort übernachten kann. Die Posto Tappa existieren mittlerweile nur noch dort, wo es bis heute keine Hotels und Pensionen gibt, und sie sind zumeist kein tolles Erlebnis.

Der Weg begann steil, aber wir wollten im ersten Etappenziel übernachten. Steil blieb es dann auch, wie erwartet, bis beinahe zum letzten Tag. Genau wie wir aus den Karten gelesen hatten, war der Weg so angelegt, dass er immer quer zum Alpenbogen führt. In der Regel hält er sich dabei auch weit von touristischen Hotspots entfernt. GSM-Empfang gab es nur sporadisch, wir hatten oft tagelang kein Signal. Da fanden wir es beruhigend, unsren Spot als absolut zuverlässiges Alarmierungssystem dabei zu haben.

Die Quartiere und Hütten waren zumeist, wie überall in Italien, betont einfach, aber höchst komfortabel, das Essen und der Wein waren beinahe immer rustikal, aber hervorragend. Weil Polenta das regionale Grundnahrungsmittel ist, gab es oft Polenta mit Käse. Ein wenig Pech hatten wir mit dem Wetter, die beiden Höhepunkte dieser Wanderung, den Rocciamelone (3538) und den Monvisio (3.841) erwischten wir jeweils bei so schlechtem Wetter, dass wir sie auslassen mussten, auch sonst regnete es zuweilen.

Die Landschaft ist herrlich, die Berge sind beeindruckend wie bei uns, aber im Gegensatz zu den Tiroler Alpen war die Landschaft tatsächlich oft nahezu unberührt und menschenleer. Im Piemont haben viele Orte keinen Anschluss ans Straßennetz. Für die Bauern gibt es keine echte Perspektive, daher durchwandert man sehr oft aufgelassene Siedlungen.

Nicht immer sind die Wege einfach zu begehen, eine gewisse alpine Erfahrung schadet nicht. Schwindelfrei sollte man auch sein 🙂

Wir waren im August unterwegs, die Pässe waren allesamt schneefrei. Im südlichen Teil trifft man sehr oft auf verfallene Alpinikasernen und Gefechtsstellungen, die seit dem 18. Jahrhundert in mehreren Wellen unter großem Aufwand hier errichtet wurden. Mitte August, am Höhepunkt der Freagosta, trafen wir aber insbesondere am Weg zum Monvisio und an der Quelle des Po immer wieder auf lärmende Tagestouristen.

Der letzte Teil des Weges war dann wieder sehr einsam, die Vegetation, die bisher auf sehr vertraute Weise alpin war, wurde von Schritt zu Schritt mediterraner. Nach dreißig Tagen kamen wir, gut erholt und fröhlich, in Ventimiglia an die Riviera. Ventimiglia ist ein nettes Örtchen, im Vergleich zu seinen westlichen Nachbarn relativ wenig mondän, aber nicht ohne Reiz. Wir blieben drei Tage, dann fuhren wir mit dem Zug nach Nizza und flogen von dort nach Hause zurück.

Kurz vor Ventimiglia. Die Flora ist hier etwas mediterraner, wie man sieht …

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